Mit 14 ging er erstmals in Schuhen

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Stephen Jungen ist ehemaliger Crossair-Pilot. Seit fünf Jahren lebt er mit seiner Familie in Dubai und fliegt für die Fluggesellschaft Emirates. Angefangen hat alles im Aargau.

Philipp Dreyer

Wenn Stephen Jungen vom Fliegen spricht, gerät der Vierzigjährige ins Schwärmen. «Ich bin mit Leib und Seele Pilot. In mir steckt ein kleiner Kolumbus.» Letzte Nacht ist der Boeing-777-Captain von einem Flug aus Karatschi zurückgekehrt. Als er vor fünf Jahren für die Emirates zu fliegen begann, war er der zweite Schweizer im Team. «Heute sind wir bereits vierzig.» Entspannt sitzt er mit seiner Frau Denise am Frühstückstisch und schneidet eine Papaya. Fällt ein flugfreier Tag auf einen Freitag, geht Kommandant Jungen mit seiner Familie zum Gottesdienst in die Freikirche. «Ich bin ein gläubiger Christ», sagt er. Seine Frau betreibt hier ein eigenes Unternehmen mit elf Mitarbeitern. Sie stellen Souvenirs her. «Der Verkaufsschlager sind Holzkamele.»

Im Busch aufgewachsen

Seine Leidenschaft, das Fliegen, begann vor rund zwanzig Jahren, als er auf dem Flugfeld Birrfeld zum ersten Mal Segelflugzeuge kreisen sah. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte er sich einzig mit lebenden Vögeln aus. Stephen wurde auf Papua-Neuguinea geboren. Seine Eltern waren Missionare des evangelischen Brüdervereins. «Ich bin mit meinen sechs Geschwistern im Busch aufgewachsen», erzählt Stephen. Einmal in der Woche landete ein Flugzeug aus Australien und brachte ihnen die Schulaufgaben. «In freien Stunden jagten wir Vögel und Wildschweine.» Als 14-Jähriger trug er zum ersten Mal in seinem Leben ein paarSchuhe.

Drei Jahre später schickten seine Eltern ihn und seinen Zwillingsbruder in die Schweiz. Berufsberater hätten «entschieden», dass sie eine Lehre als Maschinenschlosser bei der damaligen BBC im Birrfeld machen würden. «Und das einzig aufgrund von Fragebogen, die sie uns in den Busch schickten», erinnert sich Stephen, der noch heute fliessend Pidgin, die offizielle Sprache auf Papua-Neuguinea, spricht.

Vom Barfusslaufen (zu) breite Füsse

1982 kamen die beiden nach Brugg. Das Thermometer zeigte bei ihrer Ankunft minus 12 Grad. «Zum Glück waren wir zu zweit», so Stephen, «geteiltes Leid, halbes Leid.» Sie wurden bei einer christlichen Familie untergebracht. «Beim ersten Frühlingstag schwammen wir in der Aare. Und wir fühlten uns fast wie in unserem Busch.» Von dem jahrelangen Barfusslaufen hatten die zwei übrigens so breite Füsse, dass ihnen ihr Lehrmeister eine Spezialbewilligung geben musste, damit sie an der Drehbank keine Stahlkappenschuhe tragen mussten.

Nach der Lehre liess sich Stephen Jungen, mittlerweile begeisterter Hobbypilot, bei einer Bank zum Computerprogrammierer ausbilden. Nach fünf Jahren zog er nach Zürich. Eines Tages sah er bei einem Rundgang auf dem Flughafen Kloten, wie eine DC-10 startete und im Nebel verschwand. «Das hat mich sehr beeindruckt. Ich wusste, ich will Pilot werden.»

Für eine Ausbildung bei der Swissair war er nun mit 25 Jahren allerdings schon fast zu alt. So entschied er sich für die Crossair. «Nach vier Jahren sah ich dort keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr. Zudem verdiente ich als Kommandant nicht mehr als meine Frau, die als Sekretärin arbeitete.» Durch einen Freund sei er auf die Fluggesellschaft Emirates aufmerksam geworden, wo er heute arbeitet.

Das Wetter als Herausforderung

Am meisten herausgefordert fühle er sich bei schlechtem Wetter. «Da kann ich mein Know-how unter Beweis stellen.» Den schlimmsten Flug in seiner Karriere habe er just erst vor drei Monaten erlebt, erzählt er: Richtung Bangladesch seien sie mit einem Monsunsturm konfrontiert worden. Die Turbulenzen hätten eine Viertelstunde gedauert und ein Drittel der 400 Passagiere hätte erbrechen müssen. «Ich war durchgeschwitzt. Nein, Angst verspürte ich keine. Ich bin überzeugt, dass Gott mein Leben in der Hand hat.»

Spricht er über die Swiss, er nennt sie noch heute Swissair, verfinstert sich sein Gesicht: «Die Swissair war der Stolz der Schweiz». Was er von seinen Berufskollegen in der Schweiz hört, bereitet dem begeisterten Flieger Sorgen. Die Swiss hält er für wirtschaftlich letztlich «nicht konkurrenzfähig». Bei Emirates betrügen die Betriebskosten gerade mal einen Fünfzehntel jener der Swiss, was natürlich ein Vorteil sei.

Airline sorgt für den Wohnraum

Fliegen ist sein Leben, seine Augen strahlen: «Ich fühle mich momentan rundum happy.» Das Haus in Dubai stellt die Airline kostenlos zur Verfügung. Zudem bezahlt der Arbeitgeber auch die Kosten der Schulausbildung ihrer zwei Kinder sowie Krankenkasse und Arztbesuche. «Das sind jährliche Lohn-Nebenkosten von rund 150 000 Schweizer Franken», rechnet Stephen vor. «Als Captain auf der Boeing 777 verdiene ich monatlich 29 000 Dirham, umgerechnet 9000 Schweizer Franken. Und das alles steuerfrei.»

Normalerweise fühle er sich beim Fliegen nicht gestresst, versichert er. «Das liegt an meiner exakten Arbeitsweise.» Die grösste Schwierigkeit in diesem Job sei, «dass wir nie wissen, ob wir in einem Katastrophenfall richtig reagieren werden. Das bleibt immer eine offene Frage.»

Captain Stephen Jungen «Die Liebe zur Fliegerei kommt aus dem Birrfeld.»

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