Ein musikalischer Eintopf

Ein musikalischer EintopfRudolf Amstutz

Wer «Arular» der sri-lankischen Sängerin M.I.A. zum ersten Mal hört, wird anfänglich mit derselben Verwirrung konfrontiert, die die heute 28-Jährige durchlebt haben muss, als sie mit ihren Geschwistern und der Mutter dem Bürgerkrieg Sri Lankas entfloh und sich in Colliers Wood, einer schäbigen Sozialbausiedlung von London, wiederfand.

Rassismus im Alltag, Kriminalität in den Strassen und im heimischen Radio der Soundtrack zur Befindlichkeit: Public Enemy. Hip-Hop aus den USA, Reime als Kriegsberichterstattung, Beats wie Maschinengewehre. So klang M.I.A.s ganz persönliches «London Calling», während die heimatlichen Klänge aus Sri Lanka sich von süsser Melodik nährten und der Vater ebendort zurückblieb und als Tamil Tiger in den Wirren des Bürgerkriegs verschwand. Vielleicht mag sie deshalb den Hip-Hop aus den USA. «Die Mixtapes werden in einer Art von Guerilla-Taktik unter die Leute gemischt», sagt sie. Und nennt sich gleich selbst «ein atmendes Mixtape».

M.I.A.s Musik orientiert sich auch am Politischen und Sozialen

Die Verwirrung des Hörers ist nachvollziehbar. Nicht nur, weil M.I.A. (Maya I. Arulpragasam) ihre ganze Biografie musikalisch aufarbeitet, sondern auch deshalb, weil Medienleute und Marketingstrategen ihr mangels Worten den Stempel «World Music» aufgedrückt haben. Und diese Einstufung wird auch nicht besser , wenn man ihr zwecks Korrektur Etiketten wie Hip- Hop, Electronica oder Garage anhängt.

Die Musik von M.I.A. ist nichts davon. Oder alles zusammen. Ein völlig individueller künstlerischer Prozess, der sich sowohl am Intimen wie auch am Politischen und Sozialen orientiert, lässt sich nicht mit stilistischen Schubladen dingfest machen.

Mit 25 schloss M.I.A. das renommierte Saint Martins College of Art and Design mit einem Diplom in Film ab. Ihre Abschlussarbeit war allerdings einigen Professoren zu politisch und so endeten die Film-Stills in Collagen, in denen sie Maschingewehre, Hubschrauber und Soldaten mit derselben Fingerfertigkeit verfremdet, wie sie dies heute in ihrer Musik tut. Zum Klang fand M.I.A. auf Umwegen. Als Gestalterin von Plattencovers für Elastica, wurde sie von Justine Frischmann aufgefordert, die Band auf Tour zu filmen. Die Reise brachte sie auch mit der extravaganten Peaches zusammen, die sie wegen ihrer kompromisslosen Haltung als «Artverwandte» bezeichnet. Und die Reise eröffnete M.I.A. die Möglichkeit, in Pausen auf einer Groove Box, einer Roland 505, rumzuspielen. Es war alles eine Frage der Zeit, bis sie 2003 mit dem Track «Galang» erstmals die Dancefloors des Londoner Untergrunds attackierte.

«Arular» lässt sich von Weitem nicht hören. Leise schon gar nicht. Aus der Entfernung sind Tracks wie «Amazon», «Hombre» oder die neue Single «Sun-showers» nur als Anhäufung von Pixeln auszumachen, die sich erst durch das völlig urteilsfreie Hinabtauchen in M.I.A.s Klangwelt zu einem grossen Ganzen zusammenfügen.

Kinderreimartig vorgetragene Sätze wie «Ya ya heey, woy oy he hay yo» sind schnell ausgemacht, doch hinter dem rhythmisch-melodisch vertrackten Sound und hinter der mal naiv, mal anarchisch punkigen Stimme verbergen sich auch Statements wie «They say river’s gonna run through / work is going save you / praying you will pull through / suck a dick, he’ll help you».

Starker Stoff zwischen pumpenden Bässen, Dancehall und Hip-Hop. Zwischen brasilianischem Zirpen, Gameboy-Konsolen-Flirren, asiatischen Windspielen, Geschnatter und MP-Rhythmik. Das klingt, als ob M.I.A. Che Guevara für die Sneaker-Schuhe-Generation neu aufbereiten würde. «Mich kann es nur in England geben», meint sie. «England sollte stolz auf mich sein.» Das kann man nur unterschreiben.

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