Produkte-Piraterie Das Geschäft mit Fälschungen boomt. Mittlerweile ist es auch für Zöllner schwierig, ein Plagiat von einem Original zu unterscheiden. Das bleibt nicht ohne Folgen.
Auf dem Markt von Chinatown in Kuala Lumpur sieht es aus, als wäre ein Transport-Jumbo zwischen die Wolkenkratzer gestürzt und hätte seine Fracht explosionsartig über Gassen, Bordsteine, Strassenkreuzungen und Hauseingänge verteilt. Überall stapeln sich T-Shirts, JeansHosen, Hosen, Schuhe, Sonnenbrillen, Handtaschen und Fotokameras, wehen Seidentücher im Wind. Ob eine Tasche von Louis Vuitton, eine CD der Beatles oder eine Kamera von Nikon, die angebotenen Produkte haben eines gemeinsam: Sie sind alle gefälscht.
«Sir, thailändische Levis, besser gefälscht als die von China», schreit ein Verkäufer in gebrochenem Englisch und hält dem erschreckten Touristen eine Hose unter die Nase. Als dieser das Weite suchen will, zieht der Verkäufer eine Rolex-Uhr hervor und schlägt einen Gegenstand, der sich beim genauen Hinschauen als ein Stück Kunststoff entpuppt, gegen das Uhrglas. «Gleiche Qualität wie aus der Schweiz, aber billig», brüllt er.
Doch der Tourist ist nicht interessiert und bahnt sich einen Weg durch die herumwuselnden Menschen zu den Ständen mit Handtaschen in allen Grössen und Farben. Auch hier trifft er wieder auf so klangvolle Namen wie Gucci, Prada und Hermès.
17 Stunden Flugzeit später. Es ist 7.30 Uhr und der Flug SQ 346 aus Kuala Lumpur über Singapur ist soeben auf dem Flughafen Zürich gelandet. Wie eine Flutwelle strömen die Passagiere Richtung Zoll.
Hinter dem langen Tisch, wo die Reisenden ihre Gepäckstücke öffnen müssen, steht Zöllner Adriano Bogana und mustert jedes Gesicht, jeden Koffer, beobachtet Haltung und Gang der Reisenden. Einen asiatisch aussehenden Geschäftsmann winkt er herbei und lässt ihn seinen Koffer öffnen. Bogana muss nicht lange suchen und findet eine goldene Uhr. Er setzt sich eine Uhrmacherlupe aufs rechte Auge, kneift das linke zusammen und untersucht sie. «Gefälscht.» Doch der Geschäftsmann hat Glück. Am Zoll belangt wird nur, wer mit Fälschungen Handel treibt. Eigengebrauch wird toleriert. Wer also eine gefälschte Tasche oder eine gefälschte Uhr aus den Ferien mitbringt, wird nicht angezeigt.
«Bei Reisenden aus Asien finden wir fast immer etwas», sagt Zöllner Bogana. In den letzten Jahren habe die Zahl der mitgebrachten Fälschungen deutlich zugenommen. «Und die Qualität der Fälschungen wird immer besser. Manchmal ist es auch für uns sehr schwierig, etwas als Fälschung zu entlarven.» Führende Markenhersteller schicken deshalb immer wieder Vertreter vorbei, um die Zöllner in Sachen Markenidentifizierung weiterzubilden. Es seien nicht nur das Material und die Verarbeitung, welche Anhaltspunkte lieferten, sondern auch versteckte, vom Hersteller gemachte Hinweise. «Das kann die Art einer Naht oder ein verstecktes Zeichen auf einem Firmenlogo sein.»
Mit solchen Details hält man sich auf den Märkten Asiens nicht auf. Hier will man vor allem verkaufen. In immer grösserem Stil auch CDs und DVDs. So gehört längst eine ganze Strasse im Markt von Kuala Lumpurs Chinatown den CD-Händlern. Deren Sortiment ist so gross, dass viele aus Platzgründen nur noch die CD-Booklets ausstellen. Kunden wälzen sich dann durch Ordner voller Booklets, um ihre Alben auszuwählen. Ob Robbie Williams oder eine norwegische Blackmetal-Band › viel mehr als Fr. 1.50 muss ein Tourist für seinen Lieblingsinterpreten nicht berappen.
Ein florierendes Geschäft ist auch der Handel mit kopierten Computerprogrammen. Diese werden in Kuala Lumpur nicht in schummrigen Hintergassen von Chinatown verkauft, sondern in ganz normalen Shops und grossen Einkaufzentren. Dabei lassen Einrichtung und Beratung im Laden kaum auf Fälschungen schliessen. Erst die Preise machen stutzig: Microsoft Vista und MS Office sind schon für wenige Franken zu haben. Wer beides zusammen kauft, bekommt Photoshop gleich gratis dazu.
«Kürzlich haben wir gefälschte Microsoft-Office-Programme im Wert von einer Million Franken beschlagnahmt», sagt Daniel Tschudin, stellvertretender Zollinspektor am Flughafen Kloten. Tschudin steht mitten im Exponaten-Raum, der vollgestopft ist mit Fellen von Raubkatzen, Elfenbeinzähnen, Waffen, Drogenbehältern und gefälschten Taschen, Schuhen und Uhren.
Tschudin zeigt auf eine MS-Office-CD, deren Verpackung sogar mit einem Echtheits-Holgramm versehen ist. «Selbst der Vertreter von Microsoft hatte Mühe, sie als Fälschung zu identifizieren. Die Fälscher werden immer gewiefter», sagt Tschudin.
Immer mehr Plagiate würden mittlerweile durch so genannte «Nachtproduktionen» hergestellt. Das seien Fälschungen, die in den gleichen Fabriken wie ihre Originale hergestellt würden. «Die Betreiber stellen die Maschinen in der Nacht nochmal an und produzieren heimlich und ohne Lizenz für sich.» Dies ist besonders da lukrativ, wo weniger die verarbeiteten Materialien als der Labelname den Preis bestimmt › zum Beispiel beiSneakers. «Die Grenzen zwischen Fälschung und Original verschwinden immer mehr», sagt Tschudin.
Markt mit Fälschungen wächst
Rund zwei Drittel der gefälschten Waren kommen aus Asien, der grösste Teil davon aus China. Die Schweizer Uhrenindustrie schätzt ihre jährlichen Verluste wegen Produkte-Piraterie auf 800 Millionen Franken. Solche Zahlen sind jedoch schwierig zu belegen. Noch 2004 schätzte die OECD den weltweiten jährlichen Schaden auf bis zu 750 Milliarden Franken. Eine neue OECD-Studie korrigiert die Schätzung nun auf 220 Milliarden, was zwei Prozent des Welthandels sind. Denn vom Marktwert der Originale kann bei der Berechnung des Schadens kaum ausgegangen werden. Allerdings betont die OECD, dass der Handel mit gefälschten Produkten stetig zunimmt, und warnt ausdrücklich vor gefälschten Medikamenten und Lebensmitteln, von denen eine erhebliche Gefahr ausgehen kann. Im Rahmen der Patentgesetz-Revision ist der Bund daran, härtere Gesetze gegen Produkte-Piraterie auszuarbeiten. So soll es in Zukunft nicht mehr erlaubt sein, gefälschte Marken- und Designer-Produkte für den Privatgebrauch in die Schweiz zu importieren. Wer dies dennoch tut, riskiert zwar keine Bestrafung, die Ware kann ihm aber am Zoll abgenommen werden.